Bereits im Frühjahr 2020 hatten EISBRECHER ihr achtes Studioalbum LIEBE MACHT MONSTER abgeschlossen und eine Tour geplant. Aufgrund coronabedingter Auftrittsbeschränkungen beschloss die zwischen Metal/Rock und schwarzer Szene pendelnde Band, beides zu verschieben. Stattdessen wurde das Coveralbum SCHICKSALSMELODIEN veröffentlicht. Im März 2021 ist nun LIEBE MACHT MONSTER erschienen, auf dem EISBRECHER vertraute Muster in frische Klanggewänder kleiden. Dass die Songs vor Pandemie und Lockdown geschrieben wurden, mag man beim Blick auf die Tracklist kaum glauben. Zum Albumrelease haben wir uns mit dem so gut gelaunten wie nachdenklichen Frontmann Alexander „Alex“ Wesselsky (*1968) zum Plausch getroffen, aus dem ein fast zweistündiges Gespräch rund um Musikkultur, Pandemie und Filme wurde.
DEADLINE: Hi Alex, was treibst du gerade? Interviewmarathon, oder hast du sozusagen frei?
Alex: Ich habe frei. Das ist ja das Grundprinzip des Rockstardaseins. Frei haben und frei sein. Dank Corona haben wir jetzt mehr frei, als uns jemals lieb war. Ich bin dankbar für Interviews, die sind derzeit mein Fenster zur Welt. Mit Leuten zu sprechen finde ich in entsozialisierten Zeiten wahnsinnig angenehm, das kommt ja nicht mehr so oft vor. Insofern genieße ich jedes sympathische Gespräch mit guten Leuten. Kommunikation ist für uns Menschen wichtig – wie auch Kultur. Der Mensch lebt nicht nur von Luft. Man braucht so viel mehr, um nicht nur einfach zu existieren, sondern um zu leben. Das ist ein Unterschied. Ich möchte gerne leben und nicht nur vor mich hin existieren – dazu gehört auch Kommunikation.
DEADLINE: Wie erlebst du die Pandemie?
Alex: Wie alle anderen. So viele kluge Leute reden so viel unkluges Zeug, da halte ich mich zurück und denke mir: Hauptsache überleben. Als jemand, der in der Schule in Biologie und Chemie immer gern gepennt hat, muss ich mich nicht auch noch in den Vordergrund drängen, wenn selbst die klügsten Köpfe nicht wissen, was Sache ist. Hoffentlich ist dieser Kelch bald an uns vorübergegangen. Ich bin enttäuscht, wie wenig Stellenwert der Kultur beigemessen wird als das, was Menschen einfach ausmacht. Kunst unterscheidet den einfachen Existierer vom lebenden, denkenden Wesen. Was für eine Art Gesellschaft soll das sein, wenn die Kultur in Zeiten der Pandemie zu einem Gut zweiter Klasse wird? Wenn das Schule macht, freue ich mich wahrlich nicht so sehr auf die Zukunft. Als Mitte-links-Mensch finde ich die aktuelle Situation der Kulturlandschaft einigermaßen katastrophal. Aber was richtig und falsch ist – don’t ask me. Ich bin Rockstar geworden, kein Politiker.
DEADLINE: Haben Bands und Veranstalter keine Lobby, um Einfluss auf den Kulturbetrieb zu nehmen? Bleibt da wirklich nur zuschauen?
Alex: Zuschauen, entspannen, nachdenken. Wir haben keine Lobby. Das liegt vielleicht auch in der Sache selbst begründet. Wir sind alle Einzelkämpfer, jeder macht sein eigenes Kunstwerk und hat eine eigene Auffassung von Kunst. Das schließt so etwas wie Lobbyismus aus, das beißt sich mit dem Kunstbegriff. Und ein 18-jähriger Rapper sieht die Dinge womöglich anders als ein 75-jähriger Udo Lindenberg oder ein 53-jähriger Wesselsky. Wir sind bunt, und deswegen sind wir auch schlecht organisiert. Aber wir müssen uns auch gar nicht organisieren. Wenn die Menschen weiterhin Kunst, Konzerte, Kino und Theater wollen, müssen sie sich mitteilen und sagen, dass sie sich das nicht nehmen lassen wollen. Wenn ein Rolle Klopapier wichtiger ist als wir Kunstschaffende, dann können wir nicht viel machen. Das ist natürlich schade. Ich hoffe, dass die Menschen irgendwann merken, dass ihnen etwas fehlt.
DEADLINE: Jetzt habt ihr ein neues Album am Start und musstet eure Tour schon wieder verschieben. Wie reagieren eure Fans?
Alex: Die meisten Leute behalten ihre Tickets, das ist mittlerweile wie in Aktien investieren. Ich habe selbst noch so viele Tickets herumliegen. Die Leute wissen, dass wir Künstler nichts weiter tun können, als Touren zu verschieben. Sie haben Mitgefühl, geteilter Schmerz ist halber Schmerz. Die Europatour haben wir um ein Jahr verschoben, kann man sich das vorstellen? Das wäre unsere erste Europatour gewesen. Die wird vermutlich stattfinden, wenn ich 65 bin. Wir haben immer noch Hoffnung, dass das von uns veranstaltete Volle Kraft Voraus Festival im September steigen kann und wir im Herbst zum Album touren können. Vielleicht müssen wir in größere Hallen mit weniger Leute gehen. Dass wir im November und Dezember spielen können, glaube ich auf jeden Fall. Daher wiederhole ich meinen Aufruf: Leute, wenn ihr nicht wollt, dass die Kinos sterben, kauft Kinokarten. Wenn ihr nicht wollt, dass die Theater eingehen, kauft Abos. Und wenn ihr nicht wollt, dass all die Bands den Löffel abgeben, kauft Tickets. So absurd es klingt: Irgendwann geht’s wieder los. Ein Ticket ist eine gute Geldanlage, Kultur ist mehr wert als Gold.
DEADLINE: Habt ihr Streaming- oder Autokonzerte in Erwägung gezogen?
Alex: Wir wurden angefragt. Aber noch können wir uns erlauben abzulehnen und möchten gerne weiterhin Nein sagen. Vielleicht müssen wir es irgendwann machen, wenn uns das Wasser bis über beide Ohren steht. Wir wollen keine Auto- oder Strandkorbkonzerte spielen, auch nicht vor Booten oder Helikoptern. Das ist wie duschen mit Regenschirm oder Sex ohne Anfassen. Das ist Quatsch. Ich verstehe die Veranstalter, aber für uns ist das nichts. Streaming kann man mal machen. Es wäre eine Überlegung wert, LIEBE MACHT MONSTER einmal als Stream einzuspielen. Aber das ist kein Ersatz für ein Livekonzert. Schluss. Aus. Feierabend. Wer glaubt, dass Bits und Bytes ein Livekonzert ersetzen können, der hat was nicht verstanden. Das echte Gefühl holt man sich nur in der ersten, zweiten, dritten, 50.000. Reihe vor der Bühne. Das macht etwas mit dir, das ist Leben und Erleben. Streamingkonzerte sind maximal Notwehr. Ich will ja auch im Kino sitzen, Popcorn essen und einen Film auf der großen Leinwand erleben. Egal wie groß mein Fernseher zu Hause ist: Der kann mir nicht das Kino ersetzen.
DEADLINE: Wie seid ihr auf den Albumtitel LIEBE MACHT MONSTER gekommen, und warum habt ihr ausgerechnet diese Wortkombination gewählt?
Alex: Da hast du recht, das ließe sich auch anders kombinieren. Es könnten aber auch nur drei Worte nebeneinander sein, wie Freiheit, Soziales, Demokratie. Es kann auch ein politischer Claim sein, drei starke Worte für das Wahlplakat. Der Titel kommt vom gleichnamigen Song des Albums, der hat uns gefallen. Das Schöne an dem Satz ist, dass er so unglaublich viele semantische Möglichkeiten zulässt. Der alte Germanist in mir dreht da völlig hohl. Ist das ein Fragezeichen? Ist das ein Ausrufezeichen? Ist das überhaupt ein Satz? Oder ist das vielleicht, was die ganze Welt bedingt? Liebe, die Macht und das Monster – was kontrolliert was, was erschafft was? Das fand ich so stark, dass wir dann auch noch dieses Spermium-Logo für das Cover-Artwork entwickelt haben. Hier kommt das Leben. Bäm! Wir starten alle als süße Babys – und dann? Woraus entstehen der Ceaușescu, der Mussolini, der Napoleon, Stalin, Lenin und wie sie alle heißen, die Massenmörder unserer Zeit? War ein Baschar al-Assad schon immer scheiße? Welchen Einfluss haben Eltern und Gesellschaft? Mit LIEBE MACHT MONSTER macht man ein fast groteskes Fass auf. Wenn du das verfilmst, müsstest du es auf 300 Stunden anlegen. Da steckt für mich wahnsinnig viel drin, da ist Kopfkino angesagt für jeden, der Lust hat. Musik ist ja immer nur ein Angebot, keiner muss, jeder kann. Und wenn du Bock darauf hast: Willkommen in meiner Welt. Da kann man sich den Kopf zerdiskutieren.

DEADLINE: Für das Album sollt ihr eure gesammelten Sounds weggeschmissen haben. Was genau bedeutet das, und warum ausgerechnet für LIEBE MACHT MONSTER?
Alex: Das Album war im Februar 2020 Uhr fertig, mit der Pandemie hat es also nichts zu tun. Die Recordings waren abgeschlossen, bevor der ganze Zinnober losging. Viele Leute sagen: Hey, da habt ihr die richtigen Songs zur Pandemie geschrieben. Aber es gab ja schon komische Dinge vor Corona. Die Aussage mit den Sounds stammt von Pix (Gitarrist, Produzent/Programmer und Mit-Bandgründer Jochen „Noel Pix“ Seibert). Er wollte alle etablierten Sounds für das neue Album ignorieren, das heißt, alle Presets wegnehmen, mehr Analoges reinbringen, neues Schlagzeug, neuen Bass. Er wollte was anderes und die Produktionstechnik neu aufsetzen. Bei den ersten vier Songs ging es dann in eine völlig neue Richtung. Da hatte ich das Gefühl, dass ich gleich abgehängt werde, und musste mich fragen, ob das noch EISBRECHER ist und ob ich das will. Aber am Schluss wurde ein riesengroßer, geil bequemer Schuh daraus. „Leiserdrehen“, „Systemsprenger“, „Wer bin ich“ und „Es lohnt sich nicht, ein Mensch zu sein“ waren die ersten Songs, und das waren ganz schöne Brecher. Da war nicht mehr viel vom guten alten Gothic-Touch oder EBM. Das war ein ganz schönes Rock-Statement, und im Laufe der Produktion – da muss man Vertrauen in den Producer haben – wurde es innerhalb von zwei Jahren der altbekannte EISBRECHER-Mix. Aber alles startete mit einem neuen Ansatz, und ich meine ihn zu hören. Diese Platte ist angenehm anders. Für manche vielleicht unangenehm anders. Aber für mich hat es funktioniert, und ich verstehe, was der Pix meint. Einfach mal anders an die Sache herangehen. Die Mischung macht’s, das Album ist ein netter kleiner Warenkorb unterhaltsamer Melodien aus deutschen Landen geworden.
DEADLINE: Ihr klingt durchaus ein bisschen anders. Ich habe mich anfangs gefragt, ob sich nicht ein EISBRECHER-Sättigungsgefühl einstellt, da euer Coveralbum SCHICKSALSMELODIEN erst im Oktober 2020 erschienen ist.
Alex: Das Coveralbum hätte ja ursprünglich dieses Jahr kommen sollen. Aber dann kam es umgekehrt. Wir wollten das neue Studioalbum nicht im Oktober 2020 bringen, weil eine Tour unmöglich gewesen wäre. Album und Tour gehören einfach zusammen. Ein Film ohne Publikum ergibt ja auch keinen Sinn. Eine Platte gehört auf die Bühne, das soll ja die Leute zusammenbringen. Dein Livepublikum sagt dir: Diese Platte feiere ich oder scheiß drauf. Das Publikum liebt dich oder eben nicht. Und wir wollen natürlich auch wissen, ob wir den Nerv der Leute da draußen getroffen haben.
DEADLINE: Ihr pendelt zwischen Schwarze-Szene-Gothic und Metal/Rock. Wie nehmt ihr Unterschiede beim Publikum wahr, etwa zwischen Amphi Festival und Summer Breeze Open Air?
Alex: Die schwarze Szene habe ich erst im hohen Alter entdeckt, wobei die schwarze Szene eher uns entdeckt hat. Das kam mit dem Song „Schwarze Witwe“ (2004). Auf Metalfestivals wie dem Hellfest, Graspop, Wacken oder Summer Breeze hast du natürlich ein anderes Publikum als auf einem Gothic-Event wie dem Amphi. In der schwarzen Szene kannst du dir viel mehr herausnehmen, das Publikum lässt dir wahnsinnig viel durchgehen. Ich sage nur eins: Laptop-Bands. Bands bekommen nicht gleich den Stinkefinger gezeigt, sondern sie werden zumindest als Teil der Szene gesehen. Es wird immer freundlich geklatscht, in der schwarzen Szene herrscht ein anderer Umgang. Da werfen die Leute ja nicht einmal ihren Müll auf den Boden, alle gehen sehr gesittet miteinander um. In der Welt des Metal riecht es schon allein anders. Da brauchst du nur deiner Nase bis zum nächsten Dixi-Klo oder zu vollgepissten Bauzaun-Planen zu folgen. In der Metalszene musst du wirklich abliefern. Wenn du am Ende deiner Show vor weniger Leuten stehst als zu Beginn deiner Show, dann ist das auch ein Statement. Das ist uns bisher zum Glück erspart geblieben. Deswegen dürfen wir in den Slots immer weiter nach oben rutschen. In der schwarzen Szene ist der Toleranzrahmen also größer und breiter, aber das soll jetzt gar keine Bewertung sein. Ich mag beide Szenen und spiele gerne vor deren Publikum. Aber ich selbst bin ein alter Metalhead. Einmal Metal, immer Metal. Das heißt ja aber nicht, dass man nicht aufgeschlossen ist. Bei mir hat schon immer TRIO neben FRANKIE GOES TO HOLLYWOOD neben SPIDER MURPHY GANG neben JUDAS PRIEST funktioniert. Da bin ich ganz schmerzfrei. Aber für mich als Metalkind sind große Metalfestivals Sehnsuchtsorte, die man seit seinem zehnten Lebensjahr in sich herumschwurbeln hat. Das hat schon fast etwas Mythisch-Religiöses. Dennoch sind EISBRECHER sowohl schwarze Szene wie auch Rock/Metal. Wir brauchen beides, und ich finde beides super. Metal ist fetter und größer als Gothic und die schwarze Szene. Aber das kleine Feine – und zugleich unglaublich Liebenswerte – weiß ich genauso zu schätzen wie das große Fette.
DEADLINE: Inwiefern beeinflusst euch der Szenespagat stilistisch, wenn ihr ein neues Album angeht?
Alex: Natürlich überlegt man sich eine Dramaturgie und eine gewisse Dynamik. Am besten denkt man aber nicht daran. Du kannst keinen Hit schreiben, wenn du einen Hit schreiben willst. Es kann ja auch nicht jeder Film ein Blockbuster werden. Rainer Werner Fassbinder oder Kinski findet man entweder geil oder nicht. Tu, was du für richtig hältst, das ist die beste Grundvoraussetzung, um auch andere zu überzeugen. Da sind wir zum Glück immer entspannt gewesen. Vielleicht auch, weil wir schon älter und lange dabei sind.
DEADLINE: Fassbinder und Kinski? Ziehst du dir das gerne rein?
Alex: Wer schaut sich dann bitte gerne Fassbinder an? Ich komme super mit Fassbinder klar, aber gerne schaue ich mir DICK UND DOOF oder etwa MASTER AND COMMANDER an. Es gibt Sachen, die du nicht einfach wegpopcornen kannst, die musst du dir erarbeiten. Ich werde gerne gefordert, manchmal will ich aber auch abschalten und Raumschiffe vorbeifliegen lassen. Deswegen geht bei mir STAR WARS und Fassbinder. Wenn du dir nur schweren Stoff, Politisches und depressiven Kram gibst, bist du irgendwann selbst depressiv, wenn es dumm läuft.

DEADLINE: Viele Titel auf dem neuen Album klingen nach schwerem Stoff. Hattet ihr Wut im Bauch?
Alex: Offensichtlich. Ein Album spiegelt natürlich seine Entstehungszeit wider, viele Gedanken hast du aber schon länger im Kopf. Die Idee zum Titeltrack „Liebe Macht Monster“ etwa seit sieben oder sechs Jahren, aber jetzt erst hat es richtig gepasst. Es gibt immer etwas, das dich nervt, weil irgendwas falsch läuft mit unserer Gesellschaft. Einen Song wie „Dagegen“ hätten wir vor 40 oder 5 Jahren schreiben können, und in 30 Jahren wird der auch noch passen. Hier hatten wir übrigens entgegen unserer üblichen Arbeitsweise zuerst den Text, den hat Dero von OOMPH! geschrieben. „Ich denke, also bin ich – dagegen” (Zitat aus dem Song) finde ich in seiner Simplizität fast schon Oscar-verdächtig. Ansonsten kommen bei EISBRECHER aber immer zuerst Musik und Sounds, das wiederum kann Gefühle für die Texte auslösen. „FAKK“ ist etwa nicht so einfach entstanden, wie es der Titel vermuten lässt. Hatten wir eine wahnsinnige Wut im Bauch? Nicht mehr als sonst. Möge der Hörer entscheiden.
DEADLINE: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Dero?
Alex: Wir arbeiten ja gerne an verschiedenen Orten, und unser Bassist Rupert (Keplinger) saß damals in Hamburg und hat mit Dero an Songs gearbeitet. Ich glaube, für Ferris MC. Die schreiben also an Songs, und am Rande hat Dero ein paar Zeilen in sein Handy gequatscht, ich bekomme das, dachte nur, mega, finde ich supergeil, trifft mich genau. Das hatte was von RAGE AGAINST THE MACHINE, das wollte ich schon immer mal, einfach schön dagegen gehen – Widerstand. Das ist so ein altes Crossover-Thema von Anfang/Mitte der 90er-Jahre. CLAWFINGER, RAGE AGAINST THE MACHINE, URBAN DANCE SQUAD. Oder um mit Rio Reiser zu sprechen: „Wie kannst du erkennen, wie das System ist, und es nicht ändern wollen?“ Das trifft den Mitte-links-Menschen in mir. Man muss immer wieder am System arbeiten und muss es immer wieder verbessern. Und man muss als Bürger auch misstrauisch bleiben und nicht jeden Scheiß mitmachen. Aber wie gesagt, das Ganze ist vor Corona entstanden, solche Themen haben mich schon immer bewegt. Jedenfalls habe ich damals Dero angerufen und angefragt. „Dagegen“ ist ein schöner Song geworden, es muss ja kein Welthit sein. Aber es ist ein geiles Statement, und das ist mir wichtig. Man darf auch mal Flagge bekennen und eine Haltung zeigen. Ich muss nicht nur die ganze Zeit davon singen, was ich für ein geiler Stecher bin und wie mir die Weiber zu Füßen liegen. Das haben WHITESNAKE und AC/DC ganz gut erledigt. Den Finger in die Wunde zu legen haben wir natürlich nicht erfunden. Aber mal ein Statement raushauen tut gut. Wenn du laut „FAKK“ sagst, befreit das. Das ist auch eine schöne Buchstabenkombination, damit kann jeder mal spielen. Es lebe die semantische Ebene.
DEADLINE: Warum die eigenwillige Schreibweise und nicht „Fuck”?
Alex: Weil wir keine englische Band sind. Wir haben unsere eigene Lautschrift gebaut. Wir haben uns so aus einer Klemme gelöst. Denn das „FAKK“, das wir meinen, ist nicht das „Fuck”, das immer all die anderen sagen. „Come on, you motherfuckers, we wanna see the biggest fucking circle pit …” Jedes zweite Wort von jeder US-Rockband auf der Bühne ist „fuck”. Das meinen wir ja gar nicht, das ist uns eine Nummer zu scheiße. Wir meinen etwas anderes, und daher mussten wir es auch anders schreiben.
DEADLINE: Beim Video zu „FAKK“ kommt für mich euer Sinn für Humor durch. Ich denke an das durchaus prollige Gangster-Gehabe.
Alex: Was heißt denn hier prolliges Gangster-Gehabe, das ist ja eine bodenlose Unterstellung. Nur weil man einen Jogginganzug trägt? Unser Regisseur Mikis Fontagnier dreht sonst Hip-Hop-Videos (u. a. für KOOL SAVAS, SIDO), hat aber auch unsere „Skandal im Sperrbezirk”- und „Out of the Dark“-Videos gemacht. Ich habe im Übrigen eine Hip-Hop-Affinität. Ich sage nur: JUDGEMENT NIGHT-Soundtrack.
DEADLINE: Großartig!
Alex: Ja, Wahnsinn. Der Film is so na ja, aber was für ein Soundtrack! Viele Leute denken, wir hätten „FAKK” gemacht, um der Hip-Hop-Community eins reinzuwürgen. Natürlich nicht. Wir bedienen uns ihrer Stilmittel in einem Crossover-Song und visualisieren das. Wenn man das als Statement gegen Hip-Hop auslegen will, bitte schön. Da kann man aber auch extrem danebenliegen. Man muss immer auf den Text hören und die Bilder anschauen. Wir nehmen nirgends eine Szene aufs Korn, das kann man nirgends herauslesen oder -hören. Im Gegenteil: Am Ende sind da alle cool. Wir finden es einfach ganz geil, mal den Stinkefinger auszufahren.
DEADLINE: In den Kommentaren zu „FAKK“ auf YouTube lösen die zahlreichen russischen Beiträge offenbar Verwunderung unter euren deutschen Fans aus, obwohl ihr in Russland recht populär seid.
Alex: Geil, oder? Da habe ich auch schon gelacht.