Die längste Mondfinsternis des 21. Jahrhunderts läutete 2018 eines der beliebtesten Festivals der schwarzen Szene ein. Im ausverkauften Kölner Tanzbrunnen feierten beim Amphi 12.500 Besucher mit 42 Bands auf drei Bühnen. Die DEADLINE war wie in den Vorjahren als Medienpartner dabei und schwitze an zwei heißen Tagen in entspannter Atmosphäre. Wieder einmal bewiesen die Festivalbesucher, wie bunt schwarz sein kann. Grufties, Gothics, Metalheads, (Dark-)Waver, BDSM-Anhänger, (Steam-)Punks, Cybergoths, Mittelalter-Fans, Crossdresser und Musikliebhaber ohne jeden optischen Szenebezug.

Deadline-Gruesse-Amphi

Bereits am Samstagmorgen ist es unglaublich heiß und die vom Festival zur Verfügung gestellten Trinkwasserstellen haben Hochkonjunktur. Die vorherrschend schwarze Festivalgarderobe setzt Salzränder an. Wer nicht allein aufgrund der Temperaturen transpiriert, wird das aufgrund der schweißtreibenden Musik rasch nachholen. Denn nicht nur die Sonne knallt, sondern auch [X]-RX. Die Aggrotecher bezeichnen sich selbst als die Hausband des Amphis und rufen scherzhaft „Wie gefällt es euch bei uns zu Hause?“ in die Menge. Tanzbare Beats und simple, aber effektive Parolen gehen dem Publikum zur frühen Stunde gut rein. Es herrscht Partystimmung. Es wird getanzt und geklatscht, wie bei vielen Acts an diesem Festivalwochenende.

[X]-RX

Rockig wird es mit UNZUCHT, die das Publikum bei Laune halten. Die Menge mag etwas bewegungsarm erscheinen, doch die Fans haben Spaß und gehen auf Sänger Daniel Schulz ein. „Geile Scheiße, Amphi!“, ruft der und scherzt bei der Zeile „Kälte kann so erbarmungslos sein“ mit einem: „Hitze aber auch“. Im Set hat die Band auch die Single „Nela“ vom neuen Album „Akephalos“. Schlagzeug und Gitarren preschen gut nach vorne, der elektronische Teil des Lieds animiert das Publikum umgehend zum Klatschen.

„Geile Scheiße, Amphi!“

Derweil bildet sich vor dem Theater eine lange Schlange, wie im Übrigen auch vor den meisten (Damen-)Toiletten. Die Theaterbühne verwöhnt mit angenehmer Raumtemperatur und – Affinität vorausgesetzt – dem Harsh-Electro-Gewitter von CENTHRON. Mit wummernden Live-E-Bass und provokanten, geschrieenen Texten gehört die Spalter-Band zu den härtesten des Tages. Beim Amphi hat sie viele Fans, und das Theater platz aus allen Nähten: die Security verhängt Einlassstopp.

CENTHRON

Ebenfalls elektronisch, aber musikalisch vielseitiger geht es bei AESTHETIC PERFECTION zu. Die Zuschauermenge zeigt, dass Amphi-Dauergast Daniel Graves durchaus einen späteren Slot verdient hätte. Der sympathische Künstler verzichtet heute auf Gesichtsbemalung und überlasst das seinen Gastmusikern von COMBICHRIST. Neben Keyboarder Elliot Berlin sitzt Joe Letz an den Drums. Graves‘ eigenwilliger, heiserer Gesang wirkt bei einigen Songs leicht angeschlagen, der Stimmung vor und auf der Bühne schlägt das jedoch nicht auf die Stimme. Band und Publikum haben Bock. Schon zu Beginn gibt es Hits wie „The Great Depression“, die Setlist insgesamt lässt kaum Wünsche offen und beweist, dass auch ein N’SYNC Cover beim Amphi funktionert. Das freut den grinsenden Daniel Graves.

„Bye Bye Bye“ heißt es für AESTHETIC PERFECTION auf dem Amphi sicher noch lange nicht.

Aufgrund von Niedrigwasser musste die Orbit Stage auf dem Eventsschiff MS Rheinenergie auch in diesem Jahr ans andere Rheinufer wechseln. Der Shuttle-Service funktionierte gut, dennoch musste Zeit eingeplant werden, um das Konzert der Wahl nicht zu verpassen. Bei einer Band wie SOVIET SOVIET wäre das ärgerlich. In Jeans und T-Shirts gekleidet will die Post-Punk-Band aus Italien optisch so gar nicht ins Bild des Amphis passen. Damit rückt die atmosphärische Musik noch stärker in den Vordergrund und die ist trotz anfänglicher Soundprobleme hervorragend. Sänger und Bassist Andrea Giometti dominiert mit Stimme und Instrument, sein Bass bringt Schwung ins Publikum. Seine Bandkollegen an Schlagzeug und Gitarre wirken unscheinbar und so steht auch hier ganz die Musik im Mittelpunkt. Eine Klangwelt zum Abrocken und Eintauchen. Toll!

 

Zurück am Tanzbrunnen reist das Amphi mit Orchestral Manoeuvres in the Dark aka OMD zurück in die 1980er. Eine riesige Zuschauerschar hat Lust auf Nostalgie und tanzt und singt zum Hitfeuerwerk der 1978 gegründeten Band, die direkt mit „Enola Gay“ startet. Sänger Andy McCluskey (59) wirbelt seine Arme umher bis sie drohen aus den Gelenken zu springen.

OMD

Wem verträumtes Schwofen zu wenig ist, kann im Anschluss zu Tagesheadliner ASP die Pommesgabeln auspacken und die Nackenmuskulatur trainieren. Die Band war schon lange nicht mehr beim Amphi und heizt dem ohnehin schwitzenden Publikum mit „Kokon“ und Pyroshow ein. Dichter Nebel vor einem Schmetterlings-Backdrop sorgt für Atmosphäre, die Band hat die Menge sofort im Griff. Wenn Frontmann Alexander Spreng, der noch immer den Wahnsinn in der Stimmte trägt, das Publikum animiert, machen alle mit. Dennoch wünscht man sich etwas mehr Action.

ASP

Während der erste Festivalabend auf dem Gelände ausklingt, werden die letzten Einkäufe getätigt – gefühlt waren dieses Jahr weniger Händler vertreten – und Drinks in der Beach Bar gekippt. Die Aftershow-Party ruft. Doch auch auf der Straße lässt sich feiern, wo eine Gruppe Fans ein eindrucksvolles Soundsystem aufgebaut hat und das Rheinufer beschallt.

Amphi Beach Bar
So geht es doch auch …

Der zweite Festivaltag fordert die Schweißporen mit schwüler Hitze und knackigem Synthpop von NEUROTIC FISH heraus. Schon zur Mittagszeit ist die weitläufige Fläche vor der Main Stage gefüllt, die Stimmung ist ausgelassen. Die beliebte Band steht mit ihrem unprätentiösen Auftritt im Kontrast zum Publikum und präsentiert einen neuen Track vom kommenden Album. „Und?“, fragt Sänger Sascha Mario Klein im Anschluss und spricht dabei zu Freunden.

NEUROTIC FISH