Regie: Fatih Akin / Deutschland, Frankreich 2019 / 110 Min.
Darsteller: Jonas Dassler, Margarethe Tiesel, Katja Studt, Martina Eitner-Acheampong, Hark Bohm u. a.
Produktion: Nurhan Şekerci-Porst, Fatih Akin, Herman Weigel
Freigabe: FSK 18
Verleih: Warner Bros.
Start: 21.02.2019
Hamburg, Anfang der 1970er-Jahre. Der durch einen Verkehrsunfall entstellte Arbeiter Fritz „Fiete“ Honka (Jonas Dassler) versäuft seine Tage auf der Reeperbahn. In der verrauchten Absturzkneipe „Der Goldene Handschuh“ trifft er inmitten einer trinkfesten Gemeinde auf vom Leben gezeichnete, ältere Prostituierte, die ihm aufgrund hochprozentiger Avancen und trotz seiner zertrümmerten Nase und seines schielenden Blicks in seine Dachgeschosswohnung folgen. Unter den mit Pin-up-Girls zutapezierten Schrägen füllt er die durstigen Alkoholikerinnen noch mehr ab, um mit ihnen intim zu werden, ein Vollsuff, der mit rohem Missbrauch und blutiger Brutalität endet. Vier dieser Frauen tötet Honka, zerstückelt ihre Körper und versteckt die Leichenteile hinter den Wänden seiner zunehmend stinkenden Bleibe. Nachdem eine seiner Barbekanntschaften verprügelt entkommen kann und er erneut einen Verkehrsunfall erleidet, scheint ihm in einem verhältnismäßig klaren Augenblick dieses anstrengende Leben keinen Spaß mehr zu bereiten. Er macht einen kalten Entzug und nimmt einen neuen Job als Nachtwächter an. Doch in diesem holen ihn die Geister und Brände der Vergangenheit ein sowie die weibliche Versuchung, weshalb er letztlich wieder im „Goldenen Handschuh“ landet und nach Frauen Ausschau hält.
Honka Tonk statt Strunk-Kunst
Der Film beruht zum einen auf wahren Begebenheiten: Zwischen 1970 und 1975 brachte der Serienmörder Fritz Honka in Hamburg-St. Pauli insgesamt vier Frauen um. 1976 wurde er wegen eines Mordes und dreimaligen Totschlags mit verminderter Schuldfähigkeit (da zu viele Promille) zu fünfzehn Jahren Knast und zur Unterbringung in einer Psychiatrie verurteilt. Zum anderen basiert er auf der Verschriftlichung dieser Geschichte durch Heinz Strunk, dem damit ein gleichnamiger preisgekrönter Roman gelungen ist. Mit dieser Vorlage kann sich das Biopic von Fatih Akin (AUS DEM NICHTS, TSCHICK, GEGEN DIE WAND) leider in keinster Weise messen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Die literarische, sprachliche Wirklichkeit des Hamburger Kneipenmilieus mit seinen lebensweltpoetischen Wortschöpfungen, die Strunk in seinen einzigartigen Satzkonstruktionen zu einer originellen Kunstsprache verfeinert hat, ist ästhetisch dicht und durchdacht. Akin gelingt es nicht, diese Welt mit filmischen Mitteln und Bildern ebenso künstlerisch einzufangen, und so werden seine Charaktere mit den lustigen Doppelnamen und ihren zumeist vulgären Sprüchen und mundartigen Saufgeschichten zu leblosen Freaks und Karikaturen, denen man ihre Schlagersentimentalität nicht abnimmt. Es tut einem regelrecht leid, wenn der erfindungsreiche Strunk in einem kurzen Cameo zwischen den Kneipengästen auftauchen muss.
Zwar ist es ebenfalls nicht besonders einfallsreich, wenn der Roman wieder mal besser als der Film ist, aber man fragt sich schnell, wo diese Adaption mit ihrer dahinplätschernden Erzählung eigentlich hinmöchte. Wichtige soziale Aspekte des Buches, wie vor allem die Geschichte des Jungen aus der Oberschicht, ignoriert Akin nahezu vollständig, beziehungsweise degradiert sie zu einer dürftigen narrativen Klammer.
History-Design statt Serien-Horror
DER GOLDENE HANDSCHUH zeichnet sich durch ein gekonntes, aber zu standardmäßiges und zu steriles History-Design aus, das nicht ansatzweise eine ebenso stimmige Atmosphäre entfaltet wie die von Strunk erschaffene Poesie aus Alkoholismus, verzechten Körpern, Rauch und Dreck – oder wie die Mise en Scène anderer Trinkerfilmvorbilder wie beispielsweise Bukowskis BARFLY (1987), bei welchem man allein vom Zusehen einen Kater bekommt. Die Sets erinnern hier vielmehr an wohlgestylte Ausstattungsarbeiten à la Bully Herbigs BALLON (2018), die durch das Product Placement für Oldesloer Weizenkorn, Astra-Bier, Afri Cola und Wunder-Baum irgendwie auch aus der Vergangenheit gerissen und in der Gegenwart verankert werden.