

Rom Mitte der 1960er-Jahre. Internationale Filmstars drehen in der Stadt und feiern in den Clubs auf der Via Veneto, Paparazzi jagen ihnen hinterher, immer auf der Suche nach dem aufregendsten Foto. Anna, eine junge Frau mit italienischen Wurzeln, kommt von London, um den Mord an ihrer Mutter aufzuklären. Sie will herausfinden, ob wirklich ihr Vater der Täter war. Mit ihrem Onkel, einem der Paparazzi, zieht sie um die Häuser und lernt die Welt des schönen Scheins kennen. Bald merkt sie allerdings: In der Stadt, unter ihrer Oberfläche aus Glitzer und politischen Konflikten, tut sich etwas. Etwas, das mysteriös und gefährlich ist. Der Roman IMPERATOR von Kai Meyer und Lisanne Surborg, der Anfang Mai bei Knaur erschienen ist, führt handlungs- und figurenreich in diese geheime Welt unter der Oberfläche. Der Roman basiert auf einem Originalhörspiel von Meyer, das inzwischen bei Audible mit einer zweiten Staffel in die Verlängerung gegangen ist. Wir haben uns mit Kai Meyer, einem der bekanntesten und originellsten deutschen Fantasyautoren, und Lisanne Surborg, Autorin der Zombie-Novelle XOA, über IMPERATOR, Hörspiele und die Liebe zum italienischen Genrekino unterhalten.
DEADLINE: Kai, du bist ein deklarierter Hörspielfan. Als die Audible-Redaktion dich also um ein Originalhörspiel bat, waren deine Tore dafür weit offen, nehme ich an.
KAI MEYER: Unbedingt. Ich bin mit Hörspielen aufgewachsen und habe als Kind den großen Europa-Schallplatten-Boom der Siebziger mitgemacht, dann die Kassetten-Zeit in den Achtzigern. Begeistert haben mich aber vor allem immer die Hörspieladaptionen von Romanen fürs Radio – für mich waren die genauso aufregend wie für andere die Verfilmungen. Der kleine Hobbit habe ich noch auf Kassetten mitgeschnitten, später dann Der Name der Rose, Das Foucaultsche Pendel und andere. Über die Jahre führte das zu den vielen Hörspielen basierend auf meinen eigenen Romanen, und schließlich kam die Anfrage von Audible.
DEADLINE: Was war die inhaltliche Initialzündung für IMPERATOR?
KAI MEYER: 1986, mit 17, habe ich in einer Videothek Dario Argentos Inferno entdeckt und bin darüber mit Haut und Haaren dem italienischen Genrefilm verfallen. Ich war wohl der Erste in Deutschland, der regelmäßig in kommerziellen Kinozeitschriften Artikel über italienische Horrorfilme veröffentlicht hat. Für die „UFA-Filmillustrierte“ habe ich in den späten Achtzigern u. a. eine Artikelserie über Kannibalenfilme geschrieben und für die erste Inkarnation der „Moviestar“ eine Reihe mit dem Titel „Rosso Italiano“, in der ich Argento, Fulci, Lamberto Bava und andere vorgestellt habe – damals kannten die nur die Horrorfilmfans. Mit 20 saß ich in Rom im Büro von Aristide Massaccesi alias Joe D´Amato und habe ihn ein paar Stunden lang interviewt, etwa zur selben Zeit auch Leute wie Michele Soavi und Gianetto de Rossi.
Joe D´Amato habe ich quasi überfallen, bin ohne Vorankündigung in sein Büro marschiert und habe höflich um ein Interview gebeten. Er hat sich ohne Zögern den ganzen Nachmittag freigeräumt. Als nach fünf Minuten mein Diktiergerät ausfiel, hat er einen riesigen Gettoblaster von seiner Fensterbank auf den Tisch gehievt, um alles aufzunehmen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt keine große Erfahrung mit Interviews, war sicher auch ein bisschen nervös, aber er hätte es für mich gar nicht angenehmer machen können. Er war ein sehr warmherziger, freundlicher Mensch, der lautstark über sich selbst und seine Filme lachen konnte – ganz besonders über MAN-EATER und ATOR 2.
Einmal bin ich zu Fuß durch brütende Hitze hinaus nach Tiburtina gelaufen und hab mich in die legendären De-Paolis-Studios eingeschmuggelt, in denen Argento und Fulci häufig gedreht haben. Auch deshalb spielen dort diverse Szenen von IMPERATOR. Und wenn man sich mit italienischem Film beschäftigt, stößt man bald auf die Dolce-Vita-Ära der Fünfziger und Sechziger und auf den Jetset der Via Veneto. Ich fand das immer faszinierend und habe mir mit IMPERATOR den Wunsch erfüllt, eine groß angelegte Geschichte vor diesem Hintergrund spielen zu lassen.
DEADLINE: Die englischsprachigen Schauspieler, die in ihren Heimatländern nicht mehr zur A-Garde gehören, aber in Italien ein zweites „Starleben“ lebten (oder dort erst zu Stars wurden), sind wirklich eine faszinierende Fußnote der Filmgeschichte, auch für euch, nehme ich an?
LISANNE SURBORG: Ich war tatsächlich fasziniert. Obwohl Filmgeschichte ein Teil meines Studiums war, habe ich mich erst während der Recherche für IMPERATOR mit dem „Hollywood am Tiber“ befasst. All die Filme, die dort entstanden sind, die Paparazzi, die Via Veneto. Direkt nachdem ich das Skript gelesen hatte, habe ich nachgesehen, welche internationalen Stars in Rom gedreht haben. Audrey Hepburn, Elizabeth Taylor, Christopher Plummer – es ist eine fast endlose Liste.
KAI MEYER: In den 1950ern hatte Hollywood Italien als preiswerten Drehort entdeckt, sodass ein Land, in dem noch immer extreme Nachkriegsarmut herrschte, mit einem Mal zum Zentrum der internationalen Filmproduktion wurde. Abgesehen von den Stars, die in die Clubs und Hotels der Via Veneto einfielen und dem gesellschaftlichen Leben Glanz verliehen, kam es auch zu einem wirtschaftlichen Aufschwung. Das wiederum führte zu neuen Träumen der verarmten Massen, und vieles davon wurde auf den Jetset aus Film, Adel und hoher Politik projiziert. Zugleich entbrannten brutale politische Konflikte, und das alles führte zu einer explosiven Gemengelage, die einige Parallelen zum Berlin der 1920er hat: maßlose Dekadenz auf der einen Seite, entsetzliche Armut auf der anderen, und hinter den Kulissen ein blutiger Machtkampf.
Und was die Fiktion angeht: IMPERATOR hat ja – vor allem in Staffel 2, aber auch schon vorher – deutliche Giallo-Elemente, und weil das von Anfang an klar war, wollte ich auch die passende Kulisse dazu, irgendwo zwischen Mitte der Sechziger- und Mitte der Siebzigerjahre.
DEADLINE: Italien spielt bei dir öfter eine Rolle. Was ist der Grund dafür? Ist Italien ein „magischeres“ Land als, zum Beispiel, Deutschland?
KAI MEYER: Aus unserer Außensicht ist es das bestimmt. Man sagt staunend „ah“ und „oh“ und ignoriert gern die unschönen Aspekte. Genau die sind aber auch Teil meiner ARKADIEN-Bücher und eben von IMPERATOR. Vor allem in der zweiten Staffel und dem zweiten Roman geht es um die politischen Querelen im Italien der 1960er, den Einfluss der NATO und der CIA, den brutalen Kampf zwischen den Relikten des Mussolini-Faschismus und einer aggressiven kommunistischen Opposition. Ich wollte also nicht nur die Schönheit und den Glamour, sondern auch das genaue Gegenteil. Abgesehen davon: Mein Italienbild ist massiv vom dortigen Genrefilm und seiner Historie geprägt. Andere träumen sich nach Mittelerde, ich mich nach Cinecittà.
DEADLINE: Kai, du entwickelst die Geschichte – und damit auch das Übersinnliche, das Fantastische – aus der schon angesprochenen konkreten historischen Situation und einem konkreten Umfeld, der Via Vento, der Filmszene, der italienischen Politik der 1960er-Jahre. Ist diese Art der Vorgehensweis besonders reizvoll für dich? Du sprichst im Nachwort der Buchfassung von einem „magischen Realismus“, der die Wirklichkeit punktuell überhöht, aber nicht die gesamte Handlung ad absurdum führt.
KAI MEYER: Im Grunde ist das für mich das Faszinierende an der Fantastik: die Überlagerung der Realität durch mal mehr, mal weniger ausgeprägte fantastische Elemente, die bestenfalls die Wirklichkeit spiegeln oder symbolisch aufladen. Im Horror ist der Trägerstoff dafür das Unheimliche, in der Science-Fiction der sense of wonder. Der magische Realismus bedient sich bei beidem, kippt aber nur vereinzelt konsequent ins Genre. Außerdem ist da natürlich die Verwandtschaft mit dem Surrealismus, den ich sehr mag.
DEADLINE: Kommst du damit auch einem Anspruch an das Projekt nach, das ja klar die Handschrift des Autors zum Ausdruck bringen sollte, unkonventionell sein und sich nicht um Umfragen und Moden scheren sollte? Das ist einerseits eine große Vorgabe, andererseits aber auch ein Freibrief für einen Autor, oder?
KAI MEYER: Den Freibrief habe ich bei meinen Romanen ja immer. Von meiner Handvoll Drehbücher fürs Fernsehen kenne ich es natürlich auch ganz anders, dort weiß man als Autor vorher, dass vieles verwässert werden wird. Bei Audible hat man mich aber einfach machen lassen. Sowohl bei IMPERATOR als auch bei meiner Horrorserie SIEBEN SIEGEL habe ich inhaltlich freie Hand.