Er ist wieder da: Jörg Buttgereit orchestriert mit seiner Theaterproduktion IM STUDIO HÖRT DICH NIEMAND SCHREIEN im Dortmunder Schauspielhaus eine neue Symphonie des Grauens. Genauer gesagt eine Tonspur für den neuen italienischen Slasherfilm DIE BLUTBRAUT DER BESTIE MIT DEN SCHWARZEN HANDSCHUHEN von Dario Winestone (Ekkehard Freye mit sensationeller Argento Perücke und perfekt manischem Gestus) aus dem Jahr 1976. Im Tonstudio der renommierten Produktionsfirma Giallo Internationale erscheint der deutsche Sounddesigner Maximilian Schall (der unfassbar wandelbare Uwe Rohbeck gibt schon zum fünften Mal für Buttgereit erfolgreich Vollgas), der in letzter Sekunde einen mysteriös verschwundenen italienischen Tonmann ersetzen soll. Doch nicht nur die Arbeit an dem harten Filmstoff macht dem sanftmütigen und auf Naturfilme spezialisierten Tonexperten bald zu schaffen. Auch die Arbeitsweise in dem italienischen Familien-Filmbetrieb eröffnet ihm und dem Zuschauer einen tiefen Einblick hinter die Psyche und Mechanismen des kommerziell produzierten Euro-Leinwand-Terrors der 70er Jahre.

Im Studio hört Dich niemand schreien
Scream Queens (v.L.) Alexandra Sinelnikova, Marlena Keil und Caroline Hanke | Foto: c. by Birgit Hupfeld / Theater Dortmund

IM STUDIO HÖRT DICH NICH NIEMAND SCHREIEN ist Liebeserklärung, Dekonstruktion, Bloßstellung, Hommage, Entlarvung und Heiligsprechung einer Zeit, eines Genres und einer Art der Filmproduktion wie es sie nicht mehr gibt. Buttgereit und seinen Mittätern ist hier der bisher größte Wurf seiner Kinokultur-Reihe im Theater gelungen. Äußerst lose basierend auf Peter Stricklands BERBERIAN SOUND STUDIO schnappt sich der Berliner Bühnen-Beelzebub das Setting, um damit eine ganz eigene Abrechnung mit dem einst so vielgescholtenen Giallo Genre und den Exploitationfilmern dieser Zeit einzufordern. „Ich mochte diese Filme damals als ich meine Filme machte eigentlich gar nicht“, erklärt der Regisseur. „Ich war so auf dreckigen Realismus aus und dett war mir alles zu künstlich.“ In der Vorproduktion zum Theaterstück kam es aber zur Läuterung: „Ich konnte mir die Filme jetzt ja endlich nochmal in Ruhe und vor allem ungeschnitten und in toller Qualität anschauen und mich damit auseinandersetzen. Und heute finde ich die gut“, schmunzelt der Berliner keck. Anscheinend selbst berauscht von der neu entdeckten Liebe strotzt sein Stück nur so vor intensivem Detailreichtum und herrlichem Selbstzweifel ob der subversiven Kunstform, die gerade Sexualität und Gewalt so grandios obszön vermischt.

Im Studio hört Dich niemand schreien
Das letzte Abendmal im Weltraum: Christian Freund (l.) träumt von SciFi statt von Schlitzern. | Foto: c. by Birgit Hupfeld / Theater Dortmund

Diese Detailverliebtheit fängt schon bei der penibel recherchierten Ausstattung von Susanne Priebs an, die die Studiobühne in ein echtes 70er Jahre Tonstudio verwandelt. Selbst das tatsächlich aus der Zeit stammende Ton-Equipment auf der Bühne musste aus Kellerarchiven zusammengetragen und restauriert. „Wir wollten diesmal wirklich, dass alles echt ist“, sagt Priebs nicht ohne Stolz. „Für die italienische Garderobe unserer Damen haben wir diesmal sogar alles anfertigen lassen, weil es so etwas einfach nicht mehr gibt.“ Buttgereit fügt so dicht an dicht alles Bekannte aus Dario Argentos filmischen und privatem Universum zusammen, um daraus eine ganz eigene Phantasmorgie seines Delirium Italiano zu kreieren. Zu Morricone und Goblin verschraubt der Berliner Argentos Tier-Trilogie und Hexenreigen zu einer herrlich absurden Nerd-Kollage im Tonstudio. Der besessene wie abseitige Giallo-Pate Dario (Freye rockte schon in BESESSEN und dreht hier seinen Verstärker nochmals auf 11), seine moralisch flexible Filmdiva und Ehefrau Janet Lee Curtis (Caroline Hanke scheint direkt aus PROFONDO ROSSO gesprungen zu sein) sowie zwei vom schrägen Film-Übervater genervte Kinder (Alexandra Sinelnikova & Christian Freund) und die sexuell ausgebeutete Produktionsassistentin Eva Leone (Marlena Keil) runden den Reigen des Irrsinns um Maximilian Schalls Vertonungsarbeit in Italien ab.

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